23. Juni, 12. Sonntag i. Jahreskreis

Mk. 4, 35-41

 

Eine Art der Bibel ist es, in einigen wenigen Worten große Dinge auszudrücken, Dinge von Wichtigkeit, von existentieller Wichtigkeit zu beschreiben- in Bildern, in Vergleichen und in Gleichnissen.

Die heutige Erzählung vom Sturm auf dem See gehört sicher dazu.

Sie ist ein tiefes Zeugnis des Gottzweifels und des Gottvertrauens- und gerade deswegen in diesen Wochen für einige in unserer Gemeinde besonders wichtig. (Und sicher auch eine passende Erzählung zum Anlass einer Taufe)

 

Vor der Hand wird hier lediglich eine der vielen Wunder Jesu erzählt, hier also, wie er den Sturm beruhigt und die Jünger vorm Ertrinken rettet.

Schaut man aber die einzelnen Passagen näher an, bekommt diese Erzählung eine tiefe Bedeutung, es werden Dinge deutlich, die man vielleicht aus dem eigenen Leben kennt, auch ohne jemals in der Gefahr des Schiffbruchs gewesen zu sein.

Aber gehen wir doch einfach einmal Schritt für Schritt die Erzählung durch.

 

Sie ist, wenn man sie genau betrachtet, eine Entscheidungsgeschichte, eine Geschichte, in der es um Aufbruch geht; sie ist eine Geschichte, die ein Sinnbild für viele Lebensstationen, für alle möglichen Veränderungen im Leben ist.

 

Zunächst mal, die Jünger machen sich auf, brechen auf zu etwas. Sie besteigen nämlich das Boot, um ans andere Ufer zu gelangen. Sie verlassen also den festen Grund, der ihnen bisher Sicherheit geboten hat und steigen in das wackelige, schwankende Boot.

Ein –wie ich finde- treffendes Bild für das, was geschieht, wenn man sich auf etwas Neues einlässt, sei es bei sich selbst, sei es gesellschaftlich oder grundsätzlich in jeder Situation, die Veränderung in sich birgt. (Und auch für den Glaubensweg, der ja nicht auf Wissen beruht, sondern auf Vertrauen)

Denn es bestehen immer Risiken, Unsicherheiten, die sich aus dem Betreten von Neuland ergeben.

Aber, wer etwas verändern will, wer neue Ufer erreichen will, muss etwas wagen, sonst tut sich nichts.

 

Und dann sind die Jünger unterwegs, ja, sie haben sich getraut, denn Jesus war ja bei ihnen. Mit ihm wollten sie es versuchen; wenn er dabei wäre, könne ja eigentlich nichts passieren- so dachten sie sich wohl.

 

Aber es geschieht eben doch etwas. Ein Sturm kommt auf, der offenbar so stark wird, dass das Boot zu kentern droht.

Eine Erfahrung, die wohl mancher gemacht hat, der sich an Neues herangewagt hat: Jede Veränderung führt zu Unruhe, nichts bleibt beim Alten, viel Liebgewonnenes wird durcheinandergewirbelt. Und wie gerne würde man dann umkehren, alles ungeschehen machen. Aber es geht nicht. Man ist mittendrin- und der Weg zurück ist versperrt.

Erst einmal müssen die Jünger sich mit der Notlage befassen: Das Boot muss vorm Kentern gerettet werden, die Situation erfordert, das Schiff zu stabilisieren.

Und wieder die Parallelen: wir wollen alles stabil halten, festhalten, was scheinbar gut war, so festzurren, dass nichts mehr passieren kann. Nichts darf in Bewegung geraten- und wenn es Erstarrung bedeutet.

 

Mitten in dieser Situation, wo sie jeder Hilfe bedurft hätten, hat Jesus nichts anderes zu tun als zu schlafen. ER bleibt erst einmal ohne jede Reaktion. Die Jünger- und wohl auch wir- würden doch erwarten, dass er sofort, ohne Umschweife hellwach wird und die Jünger aus ihrer misslichen Situation befreit. Aber nein, Jesus schläft.

Wieder so eine menschliche Erfahrung, für einen gläubigen Menschen eine der beunruhigendsten Erfahrung, die man machen kann: Gott, wo bist Du? Wo bist Du in den Katastrophen, wo bist beim Tod eines viel zu jungen Menschen? Wo bist Du bei all den grauenvollen Dingen, die uns aus allen Medien entgegenschreien? Schläfst Du Gott? Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen? Sind wir dir egal? Ist es dir gleichgültig? Sind wir Marionetten in deinem Spiel, dir zur Unterhaltung?

Bekanntlich eine der meist gestellten Fragen, wenn es um den Existenzbeweis Gottes geht: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen? Schläfst du? Dieser Stelle hier bei Mk nach muss man diese Frage mit ja beantworten: Jesus schläft.

 

Aber; er wird geweckt, aufgerüttelt durch das Rufen der Jünger. Und er? Was tut er? Sagt nichts zu den Jüngern, bleibt stumm, steht nur auf, droht dem Wind und sagt dem See: Sei still. Und es wurde still.

 

Menschliche Erfahrung: Jesus sagt nichts, Gott bleibt stumm, wir hören nichts, so sehr wir uns einen Zuruf Gottes wünschen würden.

Und dennoch geschieht etwas: Jesus handelt, bringt etwas in Bewegung, oder hier besser: verändert etwas: der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein.

Die Hoffnung- und auch die Erfahrung mancher Gläubigen: Im Sturm des Lebens kann -ich sage bewusst kann- der Glaube an diesen Jesus nach aller Angst, Unruhe und Schreckenserfahrung zu innerer Ruhe, am Ende zu Zufriedenheit und Gelassenheit führen.

 

Bitte verstehen Sie mich richtig: Ich möchte hier nicht billig vertrösten, nach dem Motto: Wer an Gott glaubt, dem passiert nichts. Dass das nicht stimmt, mussten viel zu viele immer wieder mit den bittersten Erfahrungen erleben. Bekanntlich kommen auch gläubige Menschen werden vom Sturm im Boot ihres Lebens betroffen, drohen zu versinken. Jesus verhindert nicht den Sturm, aber: Er gebietet ihm Einhalt.

Es kommt darauf an, WIE wir durch den Sturm kommen; ob wir daran zerbrechen oder die Kraft finden, weiter zu neuen Ufern zu fahren, ob wir desillusioniert umkehren oder weitermachen.

Selbstverständlich sollte man einem Menschen, der gerade von einer aktuellen Notsituation betroffen ist, nicht sagen: Ach, mach dir keine Sorgen, es wird schon wieder, Gott wird’s schon richten.

Es gibt in solch einer Situation kaum Unpassenderes.

Aber in NORMALEN, gewöhnlichen Zeiten, wo alles mehr oder weniger in üblichen, ruhigen Bahnen verläuft, sollten wir uns gegenseitig sagen, sollte es verkündet werden: Gott sitzt auf jeden Fall mit im Boot; wir sind nicht allein; er ist dabei. Seine Gegenwart kann dich zu innerer Gelassenheit, zu Ruhe und Frieden führen- zu völliger Stille, wie der Text es hier ausdrückt.

 

Denn damit legen wir uns einen Grundvorat an Vertrauen an, einen auf den wir immer dann zurückgreifen können, wenn der Sturm unser Lebensboot zum Sinken zu bringen droht.

 

Am bedrückendsten empfinde ich die Frage Jesu am Ende der heutigen Stelle: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr keinen Glauben?

Angst wird hier als Indikator für Nicht-Glauben benutzt.

Angst als Zeichen dafür, dass ich ungläubig bin?

Ich bin beim Nachdenken über diese Frage noch nicht am Ende. Schließlich steckt darin ja die Frage Jesu: Traut ihr mir eigentlich nicht? Traut ihr mir nichts zu?

Welches Bild, welche Vorstellung habt ihr denn von mir? Wer bin ich für euch?

Eine Frage, die einen als gläubiger Mensch niemals loslässt: Wer bist du Gott? Und seine Frage an uns: Was traust du mir zu?