20. Oktober, ök. Gottesdienst aus Anlass Jubiläum Kantorei

Es ist inzwischen ziemlich unumstritten, dass Musik eine universelle Sprache ist. Man konnte experimentell feststellen, dass die verschiedenen Funktionen eines Musikstückes, z.B. Schlaflied oder ein Liebeslied, in verschiedensten Weltregionen vom Grundsatz her ähnlich ausgedrückt werden.

Das bezieht sich vor allem auf die jeweils benutzten Notenwerte und gilt offenbar für jede Kultur, ob afrikanischen, asiatischen oder europäischen Ursprungs.

Und spätestens seitdem man die Schwingungen, die das Weltall durchdringen, messbar und in Töne umsetzen kann, weiß man, dass der Satz „Die ganze Welt ist Klang“ gar nicht so weit hergeholt ist.

Kavichandran Alexander – ein höchst erfolgreicher Musikproduzent aus den USA hat es mal so formuliert: „Musik entstammt der Bemühung des Menschen, sich mit der kosmischen Essenz in Einklang zu setzen, die in jeder Schöpfung wurzelt, dem Wogen dessen, das in Zeit und Raum Bewegung hervorruft – und dadurch Rhythmus ist. Noten sind die Samen der Musik und die Samen der Schöpfung befinden sich im Klang. Musik ist das Sakrament durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert.“

Was für ein Satz: Musik ist das Sakrament durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert.

 

Vielleicht ist das der Grund, warum uns Musik so anrührt. Es gibt vermutlich keinen Menschen, der nicht von irgendeinem musikalischen Stück angetan ist. Dabei ist das Spektrum breit und sehr individuell, so wie wir Menschen eben sind. Das kann ein Choral sein, eine Symphonie, eine Popballade, ein Militärmarsch oder was auch immer Menschen mit Stimme oder einem Instrument ertönen lassen.

Musik kann Menschen zum Weinen bringen, aber auch so stimulieren, dass sie sich zu Dingen aufwiegeln lassen, die sie ohne Musik nicht täten. Musik kann tiefe Liebe ausdrücken oder Menschen in rauschhafte Trance versetzen, aber auch im Gleichschritt in den Krieg ziehen lassen.

 

Ein bestimmtes Musikstück kann auch tief versteckte Erinnerungen wiederauftauchen lassen. Wer z.B.  schon einmal einen Demenzkranken erleben durfte, der bei einem Lied aus seiner Jugend wieder aus seiner Lethargie erwacht, kann sich Tränen der Rührung nicht erwehren.

 

Musik ist eine Sprache, die überall verstanden wird, sie verbindet und berührt einen tiefen Kern in uns allen.

Kein Wunder, dass ihr mitunter göttlicher Charakter zugesprochen wird, kein Wunder, dass Menschen sagen können, wenn ich z.B. diese oder jene Bachkantate höre, dann höre ich Gott.

Denn: Musik ist das Sakrament durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert.

 

Sakramente, in der evangelischen Kirche zwei und in der kath. sieben, heißen wörtlich übersetzt: Heilsmittel oder Heilszeichen.

Sie sind Zeichen der Nähe Gottes.

Wenn man diese Zeichen betrachtet, dann fällt auf, dass sie an wichtige Wendepunkte des Lebens anknüpfen. In beiden Kirchen mit der Taufe an den Anfang des Lebens und mit der Erstkommunion bzw. dem Abendmahl auf dem Weg zum langsamen Erwachsenwerden. Das Ganze ergänzt durch die Firmung in der kath. Kirche. Dazu noch die Ehe als wichtiger Meilenstein im Verlauf eines Lebens, ebenso wie das Bußsakrament als Hilfestellung zur Bewältigung von Schuld und die Krankensalbung als Heilmittel in existentiellen Krisen.

Sakramente lassen uns damit an wichtigen Lebensstationen spüren, was eigentlich permanenter Zustand ist: Gott ist nahe, nicht im zeitlichen Sinne wie wir es im nun nahenden Advent wieder zelebrieren werden, sondern in einer Art räumlichen Sinn: Er ist uns nahe, bei uns, mit uns, um uns.

Um uns daran zu erinnern, benötigen wir Zeichen seiner permanenten Nähe. Das sollen die Sakramente sein.

Wenn wir sie miteinander feiern, feiern wir die Nähe Gottes, die für uns in jedem Moment gilt, nicht nur, wenn wir die Sakramente empfangen; dann aber wird uns diese Nähe besonders bewusst.

 

Auf diesem Hintergrund noch einmal der Satz: Musik ist das Sakrament durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert.

Musik ist also das Zeichen der Nähe Gottes durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert.

In der Musik wird dem Menschen etwas vom Geheimnis seines Seins, seines Wesens, seiner Herkunft und seinem Ziel verdeutlicht.

 

Wenn Musik keine Grenzen kennt, wenn jeder Mensch für Musik empfänglich ist, wenn alles Geschaffene in Wellen von Energie messbar ist und hörbar gemacht werden kann, dann ist die Welt Klang.

 

Nicht umsonst wird der Himmel nicht als stummer Raum vorgestellt, sondern voller Klänge: Engelsgesänge erfüllen ihn, soll heißen, der Himmel ist voll des göttlichen Klangs.

Und nicht umsonst sind Religionen und ihre Gottesdienste ohne Musik kaum vorstellbar.

 

Und wenn das so ist, dann ist Musik Verkünderin des Göttlichen.

Wenn man das ernstnähme, würde das einen kaum zu realisierenden Anspruch an jeden Musizierenden stellen.

Wenn Musik das Göttliche verkündet, dann müsste sie immer göttlich sein. Das ist sie nicht- und dann würde sich niemand mehr zutrauen, auch nur leise den Mund zu öffnen, um einen Ton herauszubringen.

Die Kantorei würde noch so gut singen können, nie würde sie so perfekt sein, dass sie das Göttliche 100%ig widerspiegeln könnte. Auch Maria Callas oder Luciano Pavarotti konnten das nicht, selbst wenn sie nach unseren Maßstäben göttlich gesungen haben.

 

Und dennoch wagen wir es zu singen, zu musizieren, die Orgel, die Harfe oder das Schlagzeug zu spielen.

 

Wie für jede Art der Verkündigung gilt: wir bezeugen das Göttliche in sehr zerbrechlichen Gefäßen. Der Mensch ist nicht Gott und deswegen kann nichts, was er erzeugt oder von sich gibt, göttlich sein.

Aber, aber, aber: WAS wir können, ist einen Hinweis geben.

Wir dürfen, können, ja wir müssen Zeugnis geben davon, dass wir mehr sind als dieses zerbrechliche Gefäß, wir stehen in der Pflicht von unserem Glauben zu erzählen, dass diese zerbrechlichen Gefäße, die sich Mensch nennen, göttlichen Ursprungs sind, von einem Ewigen geschaffen wurden und mit ihrer Existenz auf den Ewigen hinweisen.

So wird oder kann jedes leise Singen, jedes Lied, jeder musikalische Vortrag ein Fingerzeig werden auf den, von dem wir kommen und zu dem wir gehen werden.

 

Jeder Prediger, jede Pastorin, jeder Priester wird niemals völlig das leben können, was er predigt. Das darf ihn oder sie aber nie davon abhalten, dennoch das Ganze zu verkünden. Wir sind es jedem schuldig, von unserer Hoffnung Zeugnis zu geben. Nicht die Verkünder sind die Göttlich-Perfekten, sie verkünden aber das Göttlich-Perfekte.

Kein Sänger, keine Popdiva, kein Orchester, keine Kantorei wird selbst göttlich-perfekt sein, aber sie verkünden das Göttlich-Perfekte, geben einen Hinweis, werden zum Zeichen, zum Zeichen der Nähe Gottes.

 

Damit tut Ihr als Sängerinnen und Sänger unseren beiden Gemeinden seit zehn Jahren einen großen Dienst. Und selbst dann, wenn ab und an ein Ton danebengegangen sein sollte, selbst dann, wenn nicht alle vier Stimmen in perfekter Harmonie miteinander musiziert haben, haben sie aber immer einen Hinweis auf den gegeben, der uns geschaffen hat, einen Hinweis auf die eine perfekte Harmonie, die unsere Welt ins Leben gerufen hat, sie in eine in sich perfekte Ordnung gestellt hat.

Und das ist auch weiterhin Euer Job. Gebt uns Zeugnis von der Melodie des Lebens, verbindet uns untereinander, so dass wir immer mehr werden als die Summe der Einzelnen.

 

Musik ist das Sakrament durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert.