2. Februar, Darstellung des Herrn

Beneidenswert, was den beiden Alten, Hannah und Simeon passiert ist.

In ihren alten Tagen -von Hannah wird sogar das Alter konkret angegeben, nämlich 84-  finden sie Klarheit.

 

In ihrem letzten Lebensabschnitt, nach Jahrzehnten gelebten Lebens mit allen Höhen und Tiefen, wird ihnen in der Begegnung mit dem Säugling Jesus klar, dass sie das- oder besser den- gefunden haben, wonach sie in all den Jahren gesucht haben, den Trost Israels, wie es Simeon formuliert oder die Erlösung Jerusalems, wie es Hannah nennt.

 

Wie erlösend diese Gewissheit gewesen sein muss.

 

Vielen Menschen wird zum Ende ihres Lebens klar, dass alle gelebten Jahre doch eigentlich viel zu oft Jahre waren, in denen sie unruhig auf der Suche waren. Das vermeintliche Glück stellte sich immer nur kurzfristig ein, inneren Frieden gab es immer nur in kleinen Dosen. Schnell war es damit vorbei und die Suche begann auf‘s Neue.

Der Weg zum Glück bleibt meist verborgen, manchmal ahnt man ihn, doch schnell schieben sich wieder Ungewissheiten davor, Zweifel stellen sich ein, bis dahin Gewisses wird in Frage gestellt und man sucht Neuorientierung.

 

Völlig menschlich und gerade in diesen Tagen wieder deutlich zu beobachten, wo vermeintliche Gewissheiten Neuem weichen, wo der gesellschaftliche Diskurs sich zu ungewöhnlichen Mehrheiten zusammenfindet, Abstimmungen erfolgen, die für immer ausgeschlossen schienen, ob in Berlin, Wien oder anderswo.

Wo geht es lang?

Was ist der richtige Weg?

Werden einfach nur gewohnte Denkmuster durchbrochen, die bisher von sogenannten Brandmauern gehalten wurden oder werden Pfade betreten, die man besser hätte rechts liegen lassen?

 

Ich weiß es nicht – und vermutlich weiß es keiner von uns mit Gewissheit. Selten waren zu unseren Lebzeiten politische und gesellschaftliche Neuausrichtungen so unübersichtlich wie heute.

 

Endlich kann ich nachvollziehen, wenn unsere Groß- und Urgroßeltern auf den Vorwurf, wieso habt Ihr damals nicht den Mund aufgemacht, geantwortet haben, dass sie das doch nicht geahnt hätten. Geschichte liest sich bekanntlich von hinten sehr einfach und klar; wenn man aber mittendrin ist, ist da oft nur Nebel. Da hört man hier ein Nebelhorn und dort, aber man kann nicht sicher sein, ob es eine Warnung oder eine Ermutigung ist.

 

Und glauben Sie mir: Ich bleibe hier im Blumigen, im Bildhaften, im Nebulösen, weil ich mir kein klares Urteil zutraue, nicht, weil ich Angst vor einer Festlegung hätte, sondern weil das Gelände durch das wir gerade gehen, so unübersichtlich ist.

 

Wer soll denn in diesem sich Tag für Tag durch X oder Tiktok befeuerten Szenarien noch wirklich fundiert durchblickend äußern können?

Wer weiß, ob die Reaktionen auf Putins Krieg die richtigen und zur Lösung führenden sind?

Wer kann wirklich durchblicken, wer im Nahen Osten auf Frieden ausgerichtete Entscheidungen trifft oder doch nur das alte Muster von Rache, Angriff und Vergeltung weiterschreibt?

Wer kann mit Sicherheit voraussagen, was geschieht, wenn die Durchschnittstemperaturen auf der Erde tatsächlich weiterhin so steigen wie bisher?

Wer hat ein Wirtschaftsmodell anzubieten, das möglichst vielen Wohlstand bringt, aber nicht gleichzeitig mit weiter auseinanderklaffenden Scheren zwischen Arm und Reich, zunehmend vernichteten Arten auf der Erde und sozialen Spannungen verbunden ist?

Wer kann verlässliche Rezepte anbieten, wie man mit einem US-Präsidenten umgeht, der keinem gewohnten Verhaltensmuster diplomatischen Prozederes entspricht?

 

Doch wohl niemand.

Die Antworten entwickeln sich erst,

werden je nach Geschehen modifiziert, müssen plötzlich neu Auftauchendes berücksichtigen und fallen ggf. am Ende anders aus als zu Beginn erwartet.

 

So lange niemand von uns eine solche Gewissheit über die rettende Antwort wie Hannah und Simeon haben, sollten wir uns in Zurückhaltung üben, in Demut. Das heißt nicht, dass wir keine Antwortversuche unternehmen sollten, aber sie sollten mit Vorsicht vorgenommen werden, immer im Wissen, dass sie sich auch als falsch erweisen könnten und immer im Respekt vor dem anderen.

 

Und doch brauchen wir Orientierung um zu Antworten zu kommen. Und die ergibt sich für Christen vor allem aus dem Handeln und Reden Jesu und den Evangelien und nt. Briefen. Allerdings sind diese 2000 Jahre alt und Antworten auf die Fragen unserer Gegenwart können naturgemäß nur indirekt gegeben werden. Sie müssen abgeleitet werden- und da ist Raum für Interpretation.

 

Ein Beispiel nur- das Thema Migration ist im Moment ja in aller Munde. Aus meiner Sicht ist es ein gutes Beispiel dafür, dass Christen durchaus zu verschiedenen Antworten kommen können als sie reflexartig in der Regel gegeben werden.

 

Wir werden uns einig sein, dass sich leicht aus dem Handeln Jesu eine Mitverantwortung für den Mitmenschen ergibt. Ihn zu achten und ihn menschlich zu behandeln. Das folgt aus der Aussage der Bibel von der Ebenbildlichkeit des Menschen.

Aber was bedeutet das im Konkreten?

 

Ich fand dazu das Gespräch mit P. Mykhailo am vergangenen Sonntag sehr aufschlussreich. Als er gefragt wurde, wie er denn als Christ zum Krieg und zur Nutzung von Waffen steht, war seine Antwort klar: selbstverständlich darf sich die Ukraine verteidigen. Warum? Weil sie damit das Leben vieler Menschen schützt, auch wenn andere dafür sterben müssen. Und, so ergänzte er, die Verteidigung gegen Russland schützt sogar die russischen Soldaten, nämlich davor noch mehr Unrecht auf sich zu laden.

Eine interessante Antwort, die sicherlich Diskussionen auslöst. Aber sie zeigt, dass es selten nur die eine klare Antwort gibt. Diese würde lauten: Ein Christ darf keine Waffe in die Hand nehmen, geschweige denn damit jemanden erschießen. Schließlich hat Jesus seine Anhänger zur Feindesliebe aufgefordert. Aber- und das erinnert mich an die Fragen früher bei der Bundeswehr, wenn man sich für den Zivildienst entscheiden wollte: Angenommen – so hieß es da- ein Russe käme mit einem Gewehr aus den Büschen und drohte ihre Freundin zu erschießen. Würden Sie versuchen ihn davon abzuhalten oder nicht?

Hätte man geantwortet, dass man ihn abhalten würde, dann hätte man den Zivildienst vergessen können. Schließlich hatte man sich mit seinem Gewissen zuvor darauf berufen, keine Waffe in die Hand zu nehmen.

Aber, und da sind wir wieder bei der Argumentation von P. Mykhailo, darf ich das Leben eines anderen Menschen angreifen, wenn er das Leben wiederum eines anderen bedroht?

Kann Leben schützen nicht manchmal auch bedeuten, ein anderes zu vernichten?

Wir sehen damit, dass die Antworten in der Regel nicht so einfach sind, wie sie zunächst erscheinen.

Für die Frage der Migration und der Zurückweisung an Grenzen gilt ähnliches:

Man kann als Christ mit Berufung auf die von Jesus geforderte Nächstenliebe problemlos zu der Ansicht kommen, dass für Christen keine Grenzen zwischen Menschen gelten – und damit auch keine nationalen, keine Staatsgrenzen. Menschen sind einfach Menschen, ob in Mitteleuropa, in Afghanistan, Syrien, Kolumbien, Nigeria oder in Pakistan. Und wenn wir den Nächsten entsprechend der Goldenen Regel so behandeln sollen, wie wir am liebsten selbst behandelt würden, dann müssten wir allen den roten Teppich auslegen. Das ließe sich klar und überzeugend aus dem Reden und Tun Jesu ableiten.

 

Aber auch hier gilt wieder, dass man auch zu einem anderen Ergebnis kommen könnte: Aus den Evangelientexten ergeben sich auch Werte wie Gerechtigkeit und Vernunft, die deswegen in der kath. Soziallehre Eingang gefunden haben. Der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg schreibt: Die bisherige Migrationspolitik eines von Gerechtigkeit der alltäglichen Anwendung weit entfernten Gutmenschentums ist gescheitert. Er meint damit, dass das ungeklärte Verhältnis von Asyl- und Wirtschaftseinwanderung zu Situationen geführt hat, die Menschen monatelang- oft gar jahrelang- in ungeklärten Verhältnissen belässt oder zu ungerechter Finanzierung von Menschen führt, für die andere in vielen schlecht bezahlten Jobs schwer arbeiten müssen. Der Teufel steckt eben im Detail und Gerechtigkeit wird im konkreten Alltag eines Staates eben nicht durch einen einfachen Satz wie „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ hergestellt. Diese Gebote Jesu sind Richtlinien für den Einzelnen, ersetzen aber keine Gesetze, die die Interessen aller in einem Staat Lebenden berücksichtigen müssen.

 

Diese beiden Beispiele- Krieg in der Ukraine und Migration-  zeigen deutlich, dass man auch auf der Grundlage christlicher Grundsätze durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen kommen kann.

Wenn wir nicht gerade wie Hannah und Simeon dem neugeborenen Messias selbst begegnen- und das ist naturgemäß sehr unwahrscheinlich- dann werden wir uns mit der Einsicht begnügen müssen, dass wir wirklich Gewissheit über das, was christlich ist erst im Himmel haben.

Bis dahin müssen wir nachdenken, meditieren und beten, dass wir mit all unseren persönlichen Entscheidungen hoffentlich den Grundsätzen Jesu entsprechen und diese bei Gott Barmherzigkeit finden und seiner Gerechtigkeit entsprechen.