16. Februar, 6. Sonntag im Jahreskreis
Lk. 6,17 und Jer. 17
Mir ist noch eine Werbung in Erinnerung, die ungefähr so lautete: „Am Anfang waren Himmel und Erde, den ganzen Rest haben wir gemacht!“
Himmel und Erde der Rohling, aus dem unserer Hände Werk die uns umgebende Wirklichkeit geschaffen hat?
Der Mensch als Schöpfer fast aller Dinge?
Auf den ersten Blick könnte man das meinen, ja, wir leben wirklich in einer second hand Schöpfung, in einer Schöpfung aus Menschenhand.
Wenn wir uns umschauen, dann sehen wir das Werk unserer Hände: Straßen, Häuser, Autos, Flugzeuge, unsere Nahrung entnehmen wir aus Dosen, Gläsern und tiefgefrorenen Portionspackungen, unser Wohlbefinden wird durch die Fieberkurven der Börsen gesteuert und selbst wenn wir in ferne Länder reisen, wohnen wir in Hotelanlagen, die uns den vertrauten Luxus bieten, damit wir uns daheim fühlen können.
Doch beim Propheten Jeremia hörten wir eben: „Verflucht der Mann, der auf Menschen vertraut und dessen Herz sich abwendet vom Herrn“. Haben wir bei aller Freude über die menschliche Kreativität, etwas aus dem Auge und dem Herzen verloren?
Sehen wir vor lauter Bäumen, den Wald nicht mehr?
Ab und an, wenn wieder einmal ein Orkan, Überflutungen oder Waldbrände eine Region und Menschen heimgesucht haben, dann sind wir einen kurzen Moment beunruhigt, nicht nur wegen des unsäglichen Leids und der unzähligen Toten, auch weil wir durch diese Ereignisse an die Grenzen unserer Schöpfermacht erinnert werden.
Erde und Himmel – doch mehr als ein Rohling;
der Mensch – nicht sein eigener Schöpfer, vielmehr selbst Geschöpf, angewiesen auf Gott seinen Schöpfer.
Lange schon wird es Zeit, umzukehren, unseren Blick und unser Herz dem zuzuwenden, dem wir unser Leben und unser Sein in dieser Schöpfung verdanken, zumal jetzt, wo uns die Grenzen und Auswirkungen unserer Zweitschöpfung immer deutlicher vor Augen stehen.
Der Prophet Jeremia fordert zur Umkehr auf, wenn er sagt: „Gesegnet der Mann, der auf den Herrn sich verlässt. Er ist wie ein Baum, der am Bach seine Wurzeln ausstreckt“.
Seine Wurzeln ausstrecken nach dem Wasser des Lebens, auf Gott seine Hoffnung setzen, unser Leben an ihm festmachen, sich auf Gott verlassen- klingt gut, aber wie kann das gehen in einer Welt, die uns immer wieder eher das Gegenteil nahelegt, als uns auf diesem Weg behilflich zu sein?
Nun, die sogenannte Welt wird uns da keine Abhilfe anbieten. Sie ist damit beschäftigt, unser Ich zu stärken, an das Materielle, an die Materie zu binden. Welt ist Materie, Welt ist das Materielle- von ihr ist keine Hilfe zu erwarten. Und wenn wir es dann mal schaffen, diese Welt ein wenig in den Hintergrund zu drängen, unseren Geist, nicht das Ich, unsere Seele zu stärken, dann taucht für viele von uns eine erschreckende Leere auf, die viele verspüren, die kaum mit der geringen geistlichen Übung, die viele von uns kennzeichnet ausgefüllt werden kann.
Ich bin immer wieder, auch über mich selbst, erstaunt wie schwer es fällt, das Materielle loszulassen. Wir werden es ja eh eines Tages tun müssen, nichts nimmt man bekanntlich mit hinüber in das Reich Gottes. Aber wir leben lieber nach dem Motto, „dann genieße ich das, was ich habe so lange wie es geht, und am Ende ist es immer noch früh genug, loszulassen.“ Mag sein, aber darüber haben wir vollkommen verlernt, uns auf das danach vorzubereiten. Wie viele kämpfen am Ende noch, klammern sich fest und können nicht gehen.
Dieses Leben ist nicht der letzte Sinn des Menschen, es ist die Vorbereitung, die Übung für das Danach. Loslassen ist nicht ein Prozess der letzten Minute vor dem Tod, sondern ein lebenslanger Lernprozess, der in die Freiheit führt.
Für uns, die wir oft so sprachlos in geistlichen Dingen geworden sind, kann es nur bedeuten in kleinen Schritten voranzukommen, oder überhaupt erst einmal zu beginnen. Fragen Sie sich einmal ehrlich, woraus Ihre geistliche Praxis besteht. Gebet? Regelmäßige Meditation? Beschäftigung mit geistlichen Themen?
Es geht dabei nicht darum, sich Vorwürfe zu machen, ein schlechtes Gewissen zu produzieren.
Es geht darum, an sich selbst zu überprüfen, wie weit ich auf dem Weg zu Gott bin.
Ich befürchte, dass viele von uns dabei blankziehen müssen, nicht viel an Praxis zu haben. Das ist nicht schlimm vor Gott, das ist schade für uns selbst, weil wir uns unsere Quellen und unsere Grundlage verschüttet haben. Unsere ganze materielle Schöpfungskraft hat unsere Quellen zugeschüttet. Ein bisschen wie die Senne hier in Brüssel. Im 19./20. Jahrhundert wurde sie überbaut und ist überhaupt nicht mehr sichtbar- höchstens im Umland.
Unser innerer geistlicher Fluss ist ebenso überbaut, nur tief in Inneren gluckert und fließt noch etwas. Aber für den, der an der Oberfläche bleibt nicht wahrnehmbar. Genauso wie die meisten Besucher Brüssels nichts von der Existenz der Senne mitbekommen. Wie denn auch, wenn sie niemand darauf hinweist. Etwa so ist es mit unserem geistlichen Leben: oft völlig überbaut vom Materiellen, vom Täglichen, zugeschüttet und nicht wahrnehmbar. Bis wir eines Tages darauf hingewiesen werden und mit der Suche und dem Ausgraben beginnen.
Wie also?
Jesus selbst zeigt uns im Evangelium durch sein Beispiel Wege auf, die uns weiterhelfen können: „In diesen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott“. Das ist ja nicht nur eine hübsche Petitesse oder eine Marotte Jesu. Für ihn ist das existentiell und gleichzeitig beispielhaft für uns: Jesus zieht sich vor einer wichtigen Entscheidung, in diesem Falle der Wahl der 12 Apostel, zurück, um zu beten. Ein Ortswechsel, allein sein mit Gott und Gebet.
Drei Hinweise, die uns helfen können, unsere Wurzeln auszustrecken nach dem Wasser des Lebens.
1 Ortswechsel: Müssen wir auf einen Berg?
Nein, Jesus macht sein Verbundensein mit dem Vater nicht von einem Ort abhängig, aber er zieht sich immer wieder zurück, um sich dieser Verbindung zu vergewissern und in ihr zu bleiben. Wir brauchen Rückzugsorte, das kann eine Kirche sein, eine ruhige Ecke in der Wohnung, eine Pause zwischen zwei Terminen, das Warten an der Bushaltestelle, ein Pilgerweg genauso, wie bewusst gewählte Exerzitien. Das ist existentiell, im tiefen Sinne des Wortes. Wir sollten uns das irgendwie zur Regel machen. Welcher Ort das ist, kann jeder für sich selbst festlegen, aber es sollte regelmäßig sein. Alles im Leben muss geübt werden, damit es selbstständig seine Kraft entfalten kann. Klavier zu lernen ist für den Lernenden und oft auch für den Zuhörenden eine Quälerei- aber seine ganze Kraft, seine Tiefe, seine Wirkung entfaltet das Spiel erst dann, wenn es mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wenn ich bei einem Fest gefragt werde, spontan ein Stück zu spielen, wird das ein ziemlicher Reinfall, wenn ich vorher nicht so geübt habe, dass das Spiel mir in Leib und Blut übergegangen ist. Beim Gebet ist das ähnlich. Kommt eine Lebenssituation, in der ich das Gebet gebrauchen könnte, habe es aber vorher nie geübt, dann werde ich sprachlos sein.
Dabei ist es leichter das Beten zu lernen als ein Meister im Klavierspiel zu werden. Es bedarf nur einer weiteren Voraussetzung neben dem Ortswechsel:2 Das sich Öffnen für die Gegenwart Gottes. Das klingt vermutlich viel schwerer als es ist, lässt sich aber umsetzen. Dabei müssen wir vielleicht erst einmal ein wichtiges Hindernis beiseite räumen:
Der moralinsaure Richtergott steckt immer noch in vielen drin, auch wenn wir in der Regel sagen, dass wir an den liebenden, barmherzigen Gott glauben. Kommt es aber hart auf hart, machen wir gerne wieder Deals: z.B. so: Gott, wenn Du mich wieder gesund machst, dann höre ich auch damit und damit auf. Dabei ist Jesu Verkündigung über Gott eindeutig: Jesu Gott und Vater wendet sich nicht ab vom Menschen. Es ist unsere Illusion, die Illusion der Sünde, der wir aufsitzen, wenn wir glauben, Gott habe sich abgewandt, weil wir ihm den Rücken zukehren. Er ist für dich und mich da und sehnt sich nach unserer Hinwendung zu ihm, unserem Aufmerken. Es ist uninteressant in welchem Schlamassel du steckst, auf welche Abwege du geraten bist, Gott ist treu und sehnt sich nach dir.
Ich muss mich nur seinem Erbarmen übergeben.
Die Ostkirche hat die Tradition des Herzensgebetes entwickelt: „Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner“. Diesen Satz immer mal wieder vor sich hingesprochen, gedacht oder in stillen Momenten meditiert, entwickelt eine ungeahnte Dynamik, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat. Man muss es nur für möglich halten, offen werden dafür, es nicht für Humbug oder Abrakadabra halten.
So kann Jesus in seiner heute gehörten Predigt den Leuten zurufen: „Selig seid ihr Armen, ihr Hungernden, ihr Weinenden und ihr aus der Gemeinschaft ausgeschlossenen“. Freut euch, verlasst euch auf Gott, vertraut ihm, er wird euer Leben wenden, er will, dass ihr das Leben in Fülle habt. Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner.
Das reicht schon an die dritte Voraussetzung heran: Das Aussprechen. Das Zu-Gott-Reden, das Gebet selbst.
Gebet, heißt sich als Tochter oder Sohn in die Arme des Vaters, der Mutter zu bergen.
Beten – sicherlich das Vater unser; auch die Psalmen, die Gebetsrufe des wandernden Gottesvolkes und all die Hymnen, Lieder und Gebete aus der kirchlichen Tradition und Liturgie.
Beten – das sind auch die kleinen Stoßgebete, das immer wieder Aufmerken und Innehalten in der Hektik des Tages: das „Gott sei Dank“, oder „Herr, hilf mir“, das „Jesses Maria“ oder der stille Seufzer mit Blick zum Himmel oder eben: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.
Beten – das kann aber auch zum tiefen Schweigen in der Gegenwart Gottes werden, wenn alle Bilder verlöschen, alle Worte verstummen und selbst die Gedanken Frieden finden.
Ich kann nur empfehlen, sich immer wieder oder ganz neu darauf einzulassen. Die Senne in uns will ans Licht, sie ist das eigentliche Leben. Das Materielle ist Illusion oder zumindest nicht die ganze Wirklichkeit. Abstand davon lässt uns in der Tiefe wieder das Wasser des Lebens entdecken.